Bio-Beck Lehmann

Altes Handwerk, neue Ideen

Nein, hinter der familiären Bio-Bäckerei im Thurgauer Hinterland steht kein alteingesessener Beck-Konditor, sondern eine 40-jährige Quereinsteigerin, die heute genauso gut Genossenschaftswohnungen in Zürich entwerfen könnte. Obwohl: So fremd ist Anna Lehmann das Metier dann doch nicht. «Ich bin sozusagen in der Backstube aufgewachsen», erzählt die Thurgauerin. Waren es doch ihre Eltern Mares und Andreas, die 1976 in Lanterswil eine kleine Dorfbäckerei übernahmen und damit den Grundstein für das heutige Unternehmen legten.

Bald kamen die 1980er, die Zeit der Bio-Pioniere, in der Nachhaltigkeit in der Schweizer Gesellschaft zum ersten Mal richtig diskutiert wurde. Ein Thema, das auch den Lehmanns, die sich quasi in Selbstversorgung aus dem eigenen Garten ernährten, am Herzen lag. «Meine Eltern waren alternativ, aber unternehmerisch denkend», erinnert sich Anna. Bodenständige Bäcker also, die das traditionelle Handwerk hochhielten, aber eine nachhaltigere Zukunft einschlagen wollten. Der Betrieb wuchs schnell, und in den 90ern erhielten Lehmanns als erste Bäckerei im ganzen Land die Bio-Knospe für ihr Brot.

Anna machte nach der Schule dann trotzdem eine Lehre als Hochbauzeichnerin. Sie wollte mal raus aus dem beschaulichen Kanton, etwas anders sehen, Neues entdecken. Vielleicht wäre sie nach ihrem Architekturstudium nie mehr zurück nach Lanterswil gekommen – wäre die Frage um die Nachfolge ihrer Eltern nicht plötzlich im Raum gestanden. «Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommen wird, hätte ich wohl nicht Ja gesagt», sagt sie mit einem Schmunzeln. Doch bereut hat sie ihre Entscheidung nie. Das liegt auch an den 60 Mitarbeitenden, die sich jeden Tag mit Herzblut dafür engagieren, dass die knusprigen Backwaren und süssen Spezialitäten aus Lanterswil so lecker schmecken wie sie das eben tun.

Dahinter steckt – neben einer grossen Portion Handwerkskunst – auch viel Geduld. So werden die Teige teilweise bis zu einer Stunde geknetet, bevor sie während zwölf Stunden aufgehen und dabei ihre unverkennbaren Aromen entfalten. Fertigmischungen und andere Halbfabrikate sucht man in der Backstube vergebens. «Jedes unserer Produkte ist eine Eigenkreation», erzählt die Chefin stolz. Dabei kommen die Rohstoffe, wenn immer möglich, aus der Region. «Wir haben uns für Bio entschieden – das bedeutet, dass wir den ganzen Weg gehen. Für die Natur, unsere Böden und für die Menschen.»

Nicht nur der Natur, sondern auch den Mitarbeitenden wird in Lanterswil Sorge getragen. Die Arbeitszeiten sind flexibel, die Tagesabläufe so strukturiert, dass alle den Arbeitsweg nur zweimal täglich zurücklegen müssen. Ausserdem steht der Equipe ein Mittagsmenü zur Verfügung, das mit Zutaten aus dem eigenen Garten gekocht wird. Jener Garten, den die Familie Lehmann schon seit über 45 Jahren hegt und pflegt und der zu einer wahrhaftigen Oase der Ruhe herangewachsen ist. Auch die Integration von Mitarbeitenden mit Handicap liegt den Lehmanns am Herzen: Deshalb werden bei uns über fünf Prozent der Stellen, im Zusammenhang mit einer Integration oder Reintegration im ersten Arbeitsmarkt, vergeben. Die Menschen seien unglaublich dankbar dafür, dass sie hier eine Chance bekommen, erzählt Anna. Dankbar ist auch die Chefin: «Denn bei uns leisten einfach alle ihren grossen Beitrag, damit unsere Produkte den Kundinnen und Kunden so gut schmecken.»